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Diese Folgen hat der Dauerregen für die Natur am Niederrhein

Rheinische Post vom 13.02.2024 Sabine Heinemann

Niederrhein · Das vergangene Jahr gilt als das nasseste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wird der Sommer 2024 deshalb besonders insektenreich? Was Fachleute zu möglichen Folgen sagen.

Im Januar fielen in NRW laut Statistik im Durchschnitt 84 Liter Regen pro Quadratmeter; im Dezember waren es rund 161 Liter, von Januar bis Dezember 2023 rund 1204 Liter. Das sind im Vergleich zum sogenannten langjährigen Mittel 357 Liter pro Quadratmeter und damit 42 Prozent mehr. Damit gilt das vergangene Jahr als das nasseste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Von sehr gut gesättigten Böden am Niederrhein spricht deshalb Gesa Amstutz, Geschäftsbereichsleiterin Wasserwirtschaft, Betrieb und Technik bei der Linksniederrheinischen Entwässerungsgenossenschaft (Lineg). Der Niederschlag im Verbandsgebiet lag von November bis Februar bei rund 420 Millimetern. „Das sind 50 Prozent mehr als der durchschnittliche Jahresniederschlag für den Niederrhein“, sagt Amstutz.

Schneeglöckchen stehen im Regen auf einer Wiese: Die großen Niederschlagsmengen in den vergangenen Monaten stellen die Natur vor Herausforderungen. Foto: dpa/Patrick Pleul

Nach Lineg-Angaben wurde eine solche Regenmenge in der 110-jährigen Verbandsgeschichte bisher noch nie aufgezeichnet. Zu den Folgen gehören im gesamten Kreis Wesel unter anderem Felder, die komplett unter Wasser stehen oder so aufgeweicht sind, dass sie nicht mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen befahren werden können. An anderen Stellen verfault ausgesätes Wintergetreide im Boden.

Gleichzeitig bringt der viele Niederschlag Probleme für den Wald mit sich, wie Christoph Erkens, als Forstbetriebsleiter für den Bezirk Leucht zuständig, bestätigt: „In der Leucht haben wir es mit einem sandigen wie lockeren Untergrund zu tun“, sagt er. „Durch den vielen Regen kann die Standfestigkeit mancher Bäume gefährdet sein. Dadurch haben wir zusätzlich mit Windwurf zu tun. Wir beseitigen umgestürzte Bäume.“

Spaziergängern rät der Förster, auf ausgewiesenen Wegen zu bleiben und nicht ins Unterholz zu gehen. „Das Betreten des Waldes geschieht auf eigene Gefahr“, so Erkens. Von viel Regen profitiere zwar die Natur. Positiv sei, dass sich die Tiefenspeicher gefüllt haben und vor allem sich der Borkenkäfer durch den hohen Niederschlag aktuell nicht weiter verbreitet hat. „Uns fehlt allerdings eine längere Frostperiode“, sagt Erkens. „Für die Insektenwelt findet ein Reset statt.“

Ob der Sommer deshalb beispielsweise mehr Mücken beschert oder die Zecken früh aktiv werden lässt, bleibt abzuwarten, meint Herbert Gubbels vom Naturschutzzentrum in Neukirchen-Vluyn: „Wir erleben eine kaum dagewesene Situation mit einem hohen Anteil an Feuchtigkeit und auf freier Fläche überfluteter Böden. Noch ist der Winter nicht zu Ende. Ich bin gespannt, wie sich die Lage entwickelt“.

Harald Fielenbach, Leiter der Nabu-Ortsgruppe Neukirchen-Vluyn/Moers, beobachtet die aktuelle Wetterlage derzeit ganz genau. „Ein Problem, das ich neben anderen sehe, ist das verfrühte Brutgeschäft der Vögel aufgrund der milden Temperaturen“, sagt der Naturschützer. „Unsere Teilzieher bleiben. Manche Kraniche und Störche bleiben. Ihre innere Uhr passt sich dem milden Klima an.“

Auch für Erdmolche sei es zu warm, erklärt Fielenbach. Teichmolche, die in Gartenteichen überwintern, seien schon aktiv. Auch wurden bereits im milden Dezember und Januar die ersten Krötenwanderungen beobachtet, da die Amphibiensaison stark wetterabhängig ist. Zeitnah werden deshalb an den bekannten Stellen wie Littard, Dong in Neukirchen-Vluyn und am Schwafheimer Meer von den Amphibienrettern die Schutzzäune zur Krötenrettung aufgebaut.

„Ich kann mir einen insektenstarken Sommer vorstellen, von dem die Vogelwelt profitiert. Wir warten ab“, sagt der Fachmann. Ständiger Regen mache unter anderem den Bäumen und Sträuchern im Garten zu schaffen. Die Wurzeln fingen an zu faulen. Und möglich sei auch nochmals Frost. „Aber der kommt meist dann, wenn die ersten Pflanzen im Garten wie die Hortensien und Rosen austreiben oder die Apfelbäume in Blüte stehen“, so Fielenbach.

Auch unter den Tierarten gibt es Wetter-Verlierer, zum Beispiel Winterschläfer wie Haselmaus, Siebenschläfer oder Igel. Timo Schütte ist Vorsitzender des Hegerings Moers. „Die Auswirkungen von Überschwemmungen und langanhaltenden Nässeperioden auf die Tierwelt sind vielfältig und oft schwerwiegend“, sagt er. „Während Überschwemmungen Lebensräume stark einschränken und Bauten sowie Einstände überschwemmen, müssen Tiere sich auf die verbleibende Landfläche zurückziehen. Dadurch wird das Nahrungsangebot stark reduziert, was zu einem Anstieg ihres Stresslevels.“

Die Bedeutung funktionierender Deichanlagen werde während des Hochwassers deutlich, sagt der Experte. Und Schütte macht auf eine weitere Problematik aufmerksam: die Kinderstube der Natur. „Langanhaltende Nässe während der Brut- und Setzzeit hat besonders gravierende Auswirkungen auf Jungtiere. Sie haben noch nicht genügend Unterwolle, um sich vor der Kälte zu schützen. Das kann zu Unterkühlung und Lungenentzündungen führen, insbesondere bei Bodenbrütern und Feldhasen.“

Allerdings können langanhaltende Nässeperioden auch eine erhöhte Insektenpopulation mit sich bringen. „Aus diesem Grund legen wir Jäger und Landwirte oft Blühstreifen an, um die Insektenpopulation zu fördern und den Bodenbrütern gleichzeitig Schutz und Nahrung zu bieten. Davon profitieren Bodenbrüter, da die Jungtiere ihren Eiweißgehalt durch Insekten erhalten.“

Info Situation bleibt angespannt

Wasserstand Rekordhohe Niederschläge und ein lang anhaltender überdurchschnittlich hoher Wasserstand im Rhein sorgen laut dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz aktuell dafür, dass die Böden vollständig gesättigt oder übersättigt sind. Das heißt, Oberflächenwasser bleibt im Gelände stehen und führt im Zweifel zu nassen Kellern. Letzteres ist auch eine Folge eines allgemeinen Anstieges der Grundwasserstände.

Entwässerung Es gibt Bereiche, die aufgrund der gesetzlichen Aufgabe der Lineg durch grundwasserregulierende Maßnahmen künstlich entwässert werden. Sollten Schäden durch den steigenden Grundwasserpegel entstehen, können diese der Lineg mitgeteilt werden (https://www.lineg.de/kontakt/).

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